30. November 2022 I Lesezeit: 3 Minuten
D&O I Gruppenversicherung
D&O-Gruppenversicherungsverträge: Wer vertreibt Versicherungen?
von Dr. Maximilian Kosich

Das neue Urteil des EuGH zur Gruppenversicherung hat für Bewegung in Rechtswissenschaft und Praxis gesorgt. Hierzu haben die NORDEN-Partner Cäsar Czeremuga und Christian Drave jüngst die Grundlagen und Auswirkungen des Urteils in der Fachzeitschrift VersicherungsPraxis besprochen (ihren Beitrag lesen Sie hier).

Daran anschließend stellt sich eine weitere Frage: Sind infolge des Urteils auch D&O-Versicherungen als Gruppenversicherungen einzuordnen?

An der Antwort hängen gewichtige Rechtsfolgen für versicherungsnehmende Unternehmen, die den versicherten Personen unter der D&O regelmäßig den Versicherungsschutz verschaffen. Muss jeder Versicherungsnehmer einer D&O-Versicherung nun die Anforderungen der Gewerbeordnung (GewO), der Versicherungsvermittlungsverordnung (VersVermV) und möglicherweise auch die Beratungspflichten nach dem Versicherungsvertragsgesetz (VVG) erfüllen? Dies wäre jedenfalls dann der Fall, wenn jede D&O-Versicherung auch als Gruppenversicherung zu qualifizieren wäre.

Was ist eine Gruppenversicherung?

In einer „echten“ Gruppenversicherung schließen beispielweise Arbeitgeber, Vereine oder Unternehmen als Gruppenversicherungsnehmer („Gruppenspitze“) einen einheitlichen Versicherungsvertrag mit einem Versicherer zugunsten einer Mehrzahl von Personen ab, beispielsweise Arbeitnehmern, Mitgliedern oder Kunden („Gruppenmitglieder“). Die Mitglieder der Gruppe sind keine Versicherungsnehmer, da sie keine eigenen Versicherungsverträge mit dem Versicherer unterhalten. Vielmehr werden sie durch Beitritt zum Gruppenversicherungsvertrag versicherte Personen und haben so im Schadensfalle einen Anspruch gegen den Versicherer. Die Versicherungsprämie zahlt die Gruppenspitze an den Versicherer, zumeist aus den gesammelten Beiträgen der Gruppenmitglieder. Der Überhang der Beitragsleistung stellt – bei wirtschaftlicher Tätigkeit der Gruppenspitze – den Gewinn dar. Es handelt sich (zumindest auch) um einen Versicherungsvertrag für fremde Rechnung im Sinn der §§ 43 ff. VVG.

Nur die „echte“ Gruppenversicherung ist eine Versicherung, die „unechte“ ist (lediglich) ein Rahmenvertrag. In Letzterer werden die Gruppenmitglieder selbst Versicherungsnehmer. Sie schließen mit dem Versicherer jeweils einen eigenen Versicherungsvertrag. Das führt zu einem entscheidenden Unterschied zur „echten“ Gruppenversicherung: Den Gruppenmitgliedern stehen alle Rechte eines Versicherungsnehmers zu. Sie treffen aber auch alle Pflichten, beispielsweise zur Prämienzahlung gegenüber dem Versicherer. Die Gruppenspitze fungiert lediglich als Gruppenorganisator, der beispielsweise Gruppenmitglieder anwirbt und häufig die Versicherungsverträge für den Versicherer verwaltet.

Bewegung in der Gruppenversicherung: Das EuGH-Urteil

In der Vergangenheit herrschte in Deutschland Einigkeit: Der Vermittler vermittelt dem Versicherungsnehmer den Versicherungsschutz des Versicherers. Es handelt sich um ein Dreipersonenverhältnis, aus dem auch folgt, dass der Versicherungsvermittler nicht gleichzeitig auch Versicherungsnehmer sein kann.

Anders sieht das allerdings der EuGH, der mit Urteil vom 29. September 2022 (C-633/20) entschied: Ein entgeltliches Angebot zum Beitritt in eine Gruppenversicherung stellt Versicherungsvermittlung bzw. Versicherungsvertrieb dar. Die Tätigkeit der Versicherungsvermittlung bzw. des Versicherungsvertriebs umfasse demnach das Beraten, Anbieten, Vorschlagen oder Durchführen anderer Vorbereitungsarbeiten zum Abschließen von Versicherungsverträgen, das Abschließen von Versicherungsverträgen oder das Mitwirken bei deren Verwaltung und Erfüllung, insbesondere im Schadensfall. Das Anbieten eines freiwilligen Beitritts zu einem Gruppenversicherungsvertrag sei mit diesen Tätigkeiten vergleichbar. Dem stehe auch gerade nicht entgegen, wenn der Anbieter selbst auch Versicherungsnehmer des von ihm vertriebenen Versicherungsschutzes ist.

Weitere Voraussetzung sei, dass die Tätigkeit der Versicherungsvermittlung gegen Vergütung ausgeübt werden. Eine Vergütung erfasse alle Arten von Provisionen, Gebühren, Entgelten oder sonstigen Zahlungen, einschließlich wirtschaftlicher Vorteile jeglicher Art, oder finanzielle oder nicht finanzielle Vorteile oder Anreize, die in Bezug auf Versicherungsvertriebstätigkeiten angeboten oder gewährt werden.

Die D&O-Versicherung als Gruppenversicherung?

Von diesem Standpunkt aus liegt die folgende Frage nahe: Ist nun auch die D&O-Versicherung eine Gruppenversicherung mit der Folge, dass das versicherungsnehmende Unternehmen (als Versicherungsvermittler) den persönlichen und organisatorischen Anforderungen der GewO und VersVermV oder sogar Beratungspflichten gegenüber den Versicherten unterliegt?

Die Definition der Gruppenversicherung

Wie gezeigt, liegt eine Gruppenversicherung vor, wenn ein Versicherungsnehmer einen einheitlichen Versicherungsvertrag zugunsten einer Mehrzahl von Personen abschließt. Dieser Personenkreis muss bestimmbar sein und als solcher vor Abschluss des Versicherungsvertrags bestanden haben. Eine Beitrittserklärung der versicherten Personen ist nicht zwingend (Dreher/Fritz, VersR 2021, 220, 224).

D&O-Versicherung als Gruppenversicherung: Was spricht dafür?

Ausgehend von dieser Definition liegt die Annahme, die D&O-Versicherung sei eine echte Gruppenversicherung, nahe (Dreher/Fritz, VersR 2021, 220, 224). Hierfür spreche nach den Befürwortern dieser Einordnung zunächst, dass der D&O-Versicherungsvertrag ein einheitlicher Vertrag ist, der einen näher beschriebenen Personenkreis (Vorstands- und/oder Aufsichtsratsmitglieder, Geschäftsführer und/oder leitende Angestellte) erfasst. Diese Umschreibung nach abstrakten Merkmalen ermöglicht es, dass die jeweilig Versicherten auch über die Dauer des Versicherungsvertrages wechseln können.

Dies zeige auch, dass es bei der Prämienberechnung nur auf unternehmensbezogene Faktoren ankomme. Die individuelle Risikoexposition der jeweils Versicherten sei insofern nicht entscheidend.

Wirtschaftlich seien auch die mittelbaren Vorteile ausreichend, die das versicherungsnehmende Unternehmen aus der D&O-Versicherung zieht.

Die Versicherung sichere – im Sinne einer Bilanzschutzfunktion – Innenhaftungsansprüche wirtschaftlich ab (also beispielsweise Schadenersatzansprüche des Unternehmens/Versicherungsnehmers gegen seine Organe/versicherte Personen). Als Haftpflichtversicherung diene eine D&O-Versicherung also zumindest auch dem Interesse einer Gesellschaft. Ferner erlange das Unternehmen einen Vorteil am Markt und könne so leichter Personal gewinnen (Dreher/Fritz, VersR 2021, 220, 224).

D&O-Versicherung als Gruppenversicherung: Was spricht dagegen?

Gegen eine solche Einordnung kann jedoch das wirtschaftliche Moment der Vertriebsleistung eingewandt werden.

Art. 2 Abs. 1 Nr. 9 Versicherungsvertriebsrichtlinie definiert „Vergütung“ als „alle Arten von Provisionen, Gebühren, Entgelten oder sonstigen Zahlungen, einschließlich wirtschaftlicher Vorteile jeglicher Art, oder finanzielle oder nichtfinanzielle Vorteile oder Anreize, die in Bezug auf Versicherungsvertriebstätigkeiten angeboten oder gewährt werden“. Trotz dieser sehr weiten Definition ist erforderlich, dass diese „Vorteile und Anreize“ „in Bezug auf die Versicherungsvertriebstätigkeit angeboten oder gewährt werden“.

Daran könnte es bei der D&O-Versicherung fehlen. Das Unternehmen, das eine Versicherung zugunsten seiner Vorstandsmitglieder abgeschlossen hat und die Prämien hierfür aus dem Unternehmensvermögen zahlt, ziehe hieraus regelmäßig keine der vorgenannten Vorteile – so die Argumentation der Kritiker. Sicherlich, bei Eintritt des Versicherungsfalls bewirke die D&O-Versicherung im Einzelfall einen Bilanzschutz des Unternehmens. Dieser Vorteil entspringe aber nicht der Vertriebstätigkeit.

Vielmehr schließe das Unternehmen die D&O-Versicherung zuvorderst für seine Organmitglieder ab, auch weil es hierzu über sog. Verschaffungsklauseln in den Anstellungsverträgen der Organmitglieder verpflichtet sein kann. Es handele sich nicht um eine Tätigkeit gegen Vergütung. Das Organmitglied „erkaufe“ sich den Versicherungsschutz nicht durch das Unternehmen (vgl. Wandt, VersR 2022, 1481, 1484 zu Sportvereinen).

Die Ausgangslage der D&O-Versicherung stehe dem der Entscheidung des EuGH zugrundeliegenden Sachverhalts zudem diametral entgegen. Die dortige „Gruppenspitze“ bewarb ihr Leistungspaket, zu dem der Versicherungsschutz gehörte, mit der Absicht, aus der beworbenen entgeltlichen „Mitgliedschaft“ Gewinn zu erzielen. Dies sind – so der EuGH – eigene wirtschaftliche Interessen, die sich von den Interessen der Mitglieder unterscheiden und deshalb deren Schutz durch die Versicherungsvertriebsrichtlinie erfordern (EuGH, Urt. vom 29.09.2022 - C-633/20, VersR 2022, 1372 Rn. 41). Dies sei bei der D&O-Versicherung gerade anders.

Ergebnis: Zeiten der Rechtsunsicherheit

Das Vorstehende zeigt: Es lassen sich Argumente für und wider die Einordnung der D&O-Versicherung als Gruppenversicherung finden. Dabei haben sich weder die Gerichte noch der (europäische oder deutsche) Gesetzgeber oder die BaFin in einem Rundschreiben zum Streit geäußert. Was feststeht, ist eine erhebliche Rechtsunsicherheit für die versicherungsnehmende Wirtschaft und die entsprechende versicherungsrechtliche Beratungspraxis.

Bis dieses Problem ist gelöst ist, sind die Akteure gut darin beraten, sich eingehend mit den sie möglicherweise betreffenden Rechte und Pflichten eingehend zu beschäftigen und sie – im Sinne einer best practice – gegebenenfalls bereits umzusetzen. Geeignete vertragliche Gestaltungen können dabei Risiken mindern. Einige personelle und sachliche Anforderungen haben die NORDEN-Partner Cäsar Czeremuga und Christian Drave hier zusammengefasst.

Ihr Ansprechpartner:

Dr. Maximilian Kosich

Wissenschaftlicher Mitarbeiter

 

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