17. März 2022 I Lesezeit: 8 Minuten
Betriebsunterbrechungsversicherung
Wenn die Zeit drängt - Streitpunkt Betriebsunterbrechung
Foto: Franklin Berger - franklinberger.de
von Cäsar Czeremuga, LL.M.

Beitrag für die VersicherungsPraxis 3/2022, Seiten 25 bis 28.

Nichts geht mehr. Nach wie vor ein Szenario, das aus Sicht von Unternehmen – gleich welcher Branche sie angehören – zu den gefährlichsten Unternehmensrisiken gehört: das Risiko, der wirtschaftlichen Tätigkeit nicht nachgehen zu können, die Zweck der Unternehmung ist und das Unternehmen trägt. Über zwei Jahre Pandemie, das Hochwasser im Ahrtal und jetzt die vor allem menschlich katastrophale Entwicklung durch den Krieg in der Ukraine rücken für viele Unternehmen auch das Risiko von Betriebsunterbrechungen und gestörten Lieferketten wieder in den Blick.

„Das“ Unterbrechungsrisiko existiert nicht

So gravierend, wie das Risiko einer „Betriebsunterbrechung“ letztlich für alle Unternehmen ist, so unterschiedlich sind die möglichen Ursachen, die zu einer Betriebsunterbrechung beim einzelnen Unternehmen führen können. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass in der Praxis immer wieder Unklarheit herrscht, wenn es um den Versicherungsschutz im Zusammenhang mit „BU-Risiken“ geht – sei es im Risikomanagement der Unternehmen oder auf Seiten der Versicherung und der Schadenregulierung. „Das“ Unterbrechungsrisiko gibt es nicht.

Die Corona-Pandemie hat dies deutlich gemacht: Einige Branchen blieben unbehelligt oder konnten im Zusammenhang mit der Pandemie sogar wirtschaftlich profitieren, während etwa Gastronomie und Hotellerie, Kultur und Kunst litten und teilweise existenzbedrohende Schäden zu verzeichnen hatten.

Die Ursachen von Unterbrechungsschäden können physisch sein – oder aus dem virtuellen Raum kommen.  Dem tragen im Ansatz auch die Versicherungsprodukte Rechnung, wie etwa die „klassische“ Feuer- oder „Sach“-Betriebsunterbrechungsversicherung einerseits und die Cyberversicherung andererseits zeigen. Durchweg gilt: In der Regel macht der Unterbrechungsschaden in wirtschaftlicher Hinsicht den größten Teil des Schadens aus.

Unabhängig davon, ob es um einen „Sach-BU-Schaden“ oder einen „Cyber-BU-Schaden“ geht - immer wieder begegnen wir in der Praxis Streitpunkten in der Regulierung von Unterbrechungsschäden. Nachfolgend reißen wir einige davon an.

Vertragsklarheit? Beileibe nicht immer!

Unklarheiten beginnen immer wieder bei den Versicherungsverträgen selbst bzw. bei deren Konzeption.

Dies fängt an bei grundlegenden Fragen und ihrer Regelung: Was ist die betriebliche Tätigkeit und wodurch ist sie bedroht? Was ist das versicherte Interesse? Wessen Interesse ist versichert? Gegen welche Risiken (Ursachen)?

Zum Streit kommt es immer wieder über die Frage der (richtigen) Berechnung des versicherten Schadens. Nicht immer passt eine Berechnungsmethode, die die Versicherungsbedingungen vorsehen, auch zum versicherten Unternehmen. So können Klauseln zur Schadenberechnung eher auf produzierende Tätigkeiten ausgerichtet sein, und daher für Dienstleistungsbetriebe Fragen aufwerfen. Dasselbe gilt mit Blick auf Status der Unternehmensentwicklung. Bei der Schadenberechnung sehen die Versicherungsverträge vor, einen Vergleich anzustellen. Wie hat sich das Unternehmen jetzt – mit dem Unterbrechungszeitraum – entwickelt und wie hätte es sich ohne die Unterbrechung entwickelt. Dabei wird jedenfalls im Ausgangspunkt auf die Vorjahre geblickt. Doch was ist mit einem erfolgreichen Startup, vielleicht noch dazu in einer Branche, die sich erst entwickelt? Macht man sich über diesen Aspekt erst im Schadenfall fundiert Gedanken, ist der Streit vorprogrammiert. Hier sind Underwriting und Makler gefragt. Denn eine angemessene Versicherungssumme und eine ausreichende Haftzeit gehören zum Kern des Versicherungsschutzes und damit auch zu den Beratungspflichten.

Wer reguliert den Schaden? Die Rolle von Sachverständigen und Loss Adjustern

Die „Berechnung“ oder „Feststellung“ von BU-Schäden ist in der Praxis ein Terrain, das Versicherer gerne Sachverständigen überlassen. Das wirft die praktisch relevante Frage nach der Rolle von Sachverständigen auf (bzw. diejenige von Loss Adjustern unter angloamerikanischen Policen oder internationalen Versicherungsprogrammen). Immer wieder wird außer Acht gelassen, dass die Schadenregulierung Hauptleistungspflicht des Versicherers und damit auch dessen Aufgabe ist. Verschiedentlich gewinnt man den Eindruck, dass Versicherer meinen, ihrer Leistungspflicht nachgekommen zu sein, sobald sie einen Sachverständigen beauftragt haben. Hakt es dann bei der Arbeit des oder der Sachverständigen (z.B. im bedingungsgemäßen Sachverständigenverfahren), stockt die Schadenregulierung. „Die Sachverständigen haben noch keine weitere Abschlagszahlung freigegeben“, heißt es dann schnell. Aktuelles Beispiel ist die Regulierung der Schäden im Zusammenhang mit dem Ahrtal-Hochwasser. Aufgrund der schlichten Vielzahl der Schadenfälle sind Schadenregulierer und Sachverständige (die es auch nicht in großer Zahl gibt) offenbar teilweise überlastet. Für die betroffenen Versicherungsnehmer keine gute Lage. Hier gegenzusteuern, ist nicht immer einfach.

Immer wieder ist in der Praxis unklar, welchen Auftrag die Sachverständigen überhaupt erhalten (haben). Sie fordern Informationen vom Versicherungsnehmer an, werten aus und berechnen. Doch es liegt bei den Vertragsparteien, den Versicherungsvertrag anzuwenden und auszulegen. Auch wenn es in der Praxis immer wieder vorkommt: Die Auslegung des Versicherungsvertrages ist nicht Sache der Sachverständigen. Besteht beispielsweise zwischen den Parteien Streit, wie konkret die Schadenberechnung nach den Bedingungen des Versicherungsvertrages zu erfolgen hat, ist diese Frage zu klären. Der Versicherungsvertrag und die Parteien als Herr über das Versicherungsverhältnis müssen den Sachverständigen die Berechnungsmethode vorgeben. Lässt sich eine Frage zur Schadenberechnung nicht sofort klären, kann häufig mit der Berechnung unterschiedlicher Szenarien verfahren und z.B. ein versicherter Mindestschaden ermittelt werden. Kommt es zu einer fehlerhaften Schadenberechnung – etwa weil Sachverständige eine falsche Berechnungsmethode verwenden, die nicht den Vorgaben des Versicherungsvertrages entspricht –, hat der Versicherer seine Leistung fehlerhaft erbracht.

Natürlich kommt hier ein typischer Aspekt von BU-Schäden zutage: Die Schäden sind häufig komplex und erfordern unterschiedliche Expertise. Und so kommen unterschiedliche Akteure zusammen – oder prallen aufeinander. Nicht immer gelingt es etwa den Versicherungsrechtlern auf Anhieb, den Betriebswirten zu erläutern, wie das Klauselwerk der Deckung funktioniert oder zu verstehen, ob die von den Betriebswirten gelieferten Zahlen auch das spiegeln, worauf es nach der Police rechtlich ankommt. Eine Herausforderung.

Verzögerungen in der Schadenregulierung

Häufig führen subjektiv wahrgenommene oder objektiv vorliegende Verzögerungen in der Schadenregulierung zum Streit. Das ist bei jedem Versicherungsfall ärgerlich für den Versicherungsnehmer. Bei Betriebsunterbrechungsfällen besteht aber die Besonderheit, dass sie gerade das „time element“ zum Gegenstand haben. Versicherungsschutz besteht von vornherein nur zeitlich begrenzt. Der Versicherer übernimmt den Ausfallschaden für Dauer der Unterbrechung, längstens aber bis zum Ablauf der vereinbarten Haftzeit. Unternehmen können nicht einfach hinnehmen, dass sich die Schadenregulierung hinzieht und die Haftzeit – und damit der Versicherungsschutz – abzulaufen droht.

Kernpunkt Kausalität

Hauptstreitpunkt im Schadenfall sind immer wieder Kausalitätsfragen.

Zunächst kann die Kausalität über die Frage entscheiden, ob überhaupt – also dem Grunde nach – Deckung besteht. Die „klassischen“ Betriebsunterbrechungsversicherungen sind als „Annex“ zur Sachversicherung gewachsen. Voraussetzung für den Versicherungsschutz unter der Unterbrechungsdeckung ist nach den Policen daher, dass ein versicherter Sachschaden vorliegt (oder genauer: eine versicherte Sache zerstört oder beschädigt wurde). Der Deckungsschutz zielt darauf ab, dass eine Sache, die dem Betrieb dient, „ausfällt“ und es deshalb zur Unterbrechung kommt. Das ist einfach zu bestimmen, wenn die Produktionsanlage vollständig abbrennt. Schwieriger kann es sein, wenn Streit zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer darüber besteht, ob eine versicherte oder eine unversicherte Gefahr ursächlich für den Sachschaden war.

Beispiel: Sind Risse im Kolbenring, die zum Ausfall einer Maschine führten, versicherte Beschädigung oder Folge nicht versicherter alterungsbedingter Abnutzung?

Bei einer Allgefahrendeckung bestehen für den Versicherungsnehmer keine großen Hürden, zumal grundsätzlich alle möglichen Ursachen, die zum Schaden führen können, gedeckt sind. Dann liegt es beim Versicherer nachzuweisen, dass der Schaden auf einer ausgeschlossenen Gefahr (Ursache) beruht. Doch sind nur bestimmte Ursachen versichert, liegt ein relevantes Risiko für den Versicherungsnehmer nachzuweisen, dass es gerade die versicherte Gefahr war, die sich zum Schaden verwirklicht hat.

In der Praxis ist vor allem die Kausalität zwischen dem wirtschaftlichen Schaden und der Betriebsunterbrechung umstritten. Beruht der wirtschaftliche Schaden auf der (versicherten) Betriebsunterbrechung – oder ist er die Folge von anderen Umständen? Anders gefragt: Wäre die wirtschaftliche Situation des versicherten Unternehmens auch dann eingetreten, wenn es die Betriebsunterbrechung nicht gegeben hätte?

Die Versicherungsverträge bestimmen regelmäßig, dass ein Vergleich anzustellen ist: Wie ist die wirtschaftliche Situation des Versicherungsnehmers nach Eintritt der Betriebsunterbrechung und wie wäre sie bei normalem Verlauf der Dinge gewesen, also ohne die Unterbrechung. Erforderlich ist also eine Prognose. Dabei sind – so die Regelungen in den Versicherungsverträgen – sämtliche Umstände einzubeziehen, die den Geschäftsgang beeinflusst hätten. Das ist naturgemäß schwer zu sagen. Und birgt Streitpotenzial, wie man hervorragend am Beispiel pandemiebedingter Ausfallschäden sehen kann.

Im Versicherungsmarkt dominiert auch nach der BGH-Entscheidung vom 26. Januar 2022 die noch nicht abgeschlossene leidige Debatte zur Betriebsschließungsversicherung (BSV) im Zusammenhang mit dem Versicherungsschutz für pandemiebedingte Ausfallschäden. Die BSV ist keine „klassische“ Betriebsunterbrechungsversicherung, die zwingend einen Sachschaden voraussetzt. Doch sie soll letztlich einen Ausfallschaden kompensieren. Ein etwas zynisch anmutendes Argument, das Versicherungsnehmer von Versicherern zu hören bekamen, die die Deckung verweigerten: Es hat ja nicht nur dich getroffen, lieber Gastwirt, Hotelier etc. Du hättest ohnehin keinen Umsatz gemacht, weil im Lockdown ja niemand kommen durfte.

Dieses Argument brachten auch die Versicherer im englischen Markt vor. Dort ging es tatsächlich um Betriebsunterbrechungsversicherungen (nicht wie hierzulande, um ein fragwürdig konzipiertes Produkt wie die BSV). Und zwar um bestimmte Deckungserweiterungen zur Betriebsunterbrechungsversicherung (non-damage business interruption), die keinen Sachschaden erfordern. In einem Musterverfahren stützte der Supreme Court als oberstes Zivilgericht die Interessen der Versicherungsnehmer. Die Entscheidung des Supreme Court im sogenannten „FCA Test Case“ bahnte die Wege für Schadenzahlungen von mittlerweile über einer Milliarde Pfund unter englischen Wordings*.

*Der Supreme Court sprach sein Urteil zum Versicherungsschutz dem Grunde nach am 15. Januar 2021. Das Urteil im Volltext finden Sie hier. Am 14. Juli 2021 erging zudem eine Order des Supreme Court. Die Order konkretisiert die Vorgaben des Gerichts für die jeweiligen Einzelfälle und muss neben dem Urteil zur Bewertung der Einzelfälle herangezogen werden. Die Order finden Sie hier.

Doch noch lange sind dort nicht alle Betriebsunterbrechungsschäden reguliert. Erst am 25. Februar 2022 unterlag die AXA vor dem High Court in einem weiteren Fall – und muss 4,4 Millionen Pfund zahlen*.

*vgl. Corbin & King v AXA, Case No: CL-2021-000235.

Nach den dort streitigen Klauseln sind deckungsauslösend nur Krankheitsfälle innerhalb des vereinbarten Radius (insured peril) um eine Betriebsstätte. Ursächlich für die BU-Schäden waren aber auch Fälle außerhalb und darauf folgende behördliche Maßnahmen. Es bestehen somit mehrere zusammenwirkende Ursachen für den Unterbrechungsschaden. Eine davon ist versichert, die anderen sind es nicht. Die Versicherer argumentierten, der Versicherungsnehmer müsse nachweisen, dass der BU-Schaden ohne das versicherte Ereignis nicht eingetreten wäre („but for“ test of causation). Die Versicherungsnehmer hätten denselben BU-Schaden jedoch ohnehin erlitten – gerade wegen der flächendeckenden Ausbreitung der Pandemie und der breit gefächerten behördlichen Maßnahmen.

Dem erteilte der Supreme Court eine klare Absage: Der “but for“-test ist nicht maßgeblich für die Kausalität. Die Kausalitätsanforderungen richten sich nach dem Wesen bzw. dem vertraglichen Schutzzweck der Policen („nature“). Danach kann Deckung auch für BU-Schäden bestehen, die auf einem lokal aufgetretenen Krankheitsfall und auf weiteren Ursachen beruhen - und zwar auch dann, wenn der lokalisierte Krankheitsfall für sich genommen nicht zur Verursachung des Schadens ausreichen würde. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass das englische Versicherungsvertragsrecht anderen Kausalitätsregeln folgt als das deutsche. Im deutschen Versicherungsvertragsrecht findet nur in der Transportversicherung die causa proxima-Regel bei der Kausalitätsprüfung Anwendung. Danach ist von mehreren in Betracht kommenden Ursachen die wirksamste („efficient“) maßgeblich. Der Supreme Court stellte in seiner Entscheidung klar, dass die causa proxima-Regel grundsätzlich für das gesamte englische Versicherungsvertragsrecht gilt, wenn nicht die Parteien ausdrücklich etwas anderes regeln. Nach dem Gericht kommt es immer auf den Gegenstand und den Schutzzweck des Versicherungsvertrages an. Und hier war die Wertung des Urteils klar: pandemiebedingte Betriebsunterbrechungen sind versichert.

Dieser Blick über den englischen Kanal zeigt, was auch hierzulande gilt: Der Versicherungsschutz gegen Schäden infolge von Betriebsunterbrechungen – gehen sie nun auf einen Sachschaden zurück oder nicht – ist für die Unternehmen ausgesprochen wichtig, birgt aber auch manche rechtliche und faktische Herausforderung.

Ihr Ansprechpartner:

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