14. April 2022 I Lesezeit: 3 Minuten
Cyberversicherung I D&O-Versicherung I Kriegsausschlüsse
Eine neue Zeit der Ausschlüsse?
Foto: Franklin Berger - franklinberger.de
von Christian Drave, LL.M.

Ein Beitrag für die Kolumne "Recht.Voraus" in der Versicherungspraxis 4/2022. In der Kolumne beleuchten NORDEN Rechtsanwälte Trends in der Industrieversicherung. 

Klimawandel und Flutschäden, Pandemie, fragile Lieferketten und nun auch ein weiterer Krieg. Ganz unabhängig von Menschenschicksalen und individueller Betroffenheit: Systemische Risiken steigen in Zahl und Ausmaß. Systemische Risiken betreffen gerade nicht nur Einzelne, sondern möglicherweise ganze Branchen oder gar Gesellschaften und Volkswirtschaften weltweit. Und damit auch – versicherungstechnisch gesprochen – Risikokollektive. Dies führt zu einer Dynamik beim Versicherungsschutz: Kommt es zu Katastrophen- bzw. Kumulschäden, versuchen Versicherer gegenzusteuern – und zwar regelmäßig durch Ausschlüsse. Das bedeutet im Ergebnis nicht immer, dass die Versicherungsnehmer zukünftig gänzlich ohne Schutz dastehen. Doch manchmal ist das der Fall: Bestimmte Risiken bleiben oder werden unversicherbar.

Erwartet die Versicherungsnehmer eine neue Zeit der Ausschlüsse? Der Trend anhand von aktuellen Beispielen zu D&O-Versicherung, Cyberversicherung und dem Ausschluss von Kriegsgefahren.

Neue Haftungsrisiken: Wie reagiert die D&O Versicherung?

Die D&O-Versicherung muss sich immer wieder in ihrem Kern beweisen: als Haftpflichtversicherung. Nun ist die D&O-Versicherung als Versicherungsprodukt sicher nicht einfach „statisch“. Doch kommt es zu einer dynamischen Entwicklung von Haftungsrisiken, sind auch Spannungen zwischen Deckung und Haftung häufig nicht weit – und damit auch die Diskussion von Risikoausschlüssen.

In der Tat verändern sich die Haftungsrisiken auch hierzulande. Grund sind etwa nationale und europäische Rechtsentwicklungen, aber auch faktische Bedingungen, wie der Klimawandel und eine veränderte Wahrnehmung der sozialen und ökologischen Verantwortung von Unternehmen. Es geht um die „Environmental and Social Responsibility (ESR)” und drohende “Climate Change Litigation”. Die Anzahl der Prozesse im Zusammenhang mit behaupteten Umweltschäden steigt rapide. „Climate Change Litigation“ ist längst zum globalen Haftungsrisiko geworden. Dabei richten sich Ansprüche nicht mehr vordringlich gegen Staaten. Vermehrt stehen Unternehmen im Fokus - und damit letztlich auch Unternehmensleiter. Was das heißt, spürt aktuell der größte Ölkonzern Europas. Nachdem Shell letztes Jahr einen viel beachteten „Klima-Prozess“ in den Niederlanden gegen Klimaschützer verlor und verpflichtet wurde, seine Treibhausgasemissionen bis 2030 um netto 45 Prozent gegenüber dem Stand von 2019 zu reduzieren, soll es jetzt den Managern des Konzerns an den Kragen gehen. Der Shell-Aktionär ClientEarth bereitet rechtliche Schritte gegen die geschäftsführenden und nicht geschäftsführenden Manager des Konzern vor, weil das Management es angeblich versäumten habe, eine Strategie zu verfolgen, die mit dem Pariser Klimaabkommen von 2015 im Einklang stehe [1].

[1] Vgl. Bericht der Financial Times vom 15. März 2022, abrufbar hier.

Die D&O-Versicherung deckt keine Personenschäden (die nicht nur, aber auch aufgrund des globalen Bevölkerungswachstums immer häufiger mit dem Klimawandel und Umweltschäden im Zusammenhang stehen). Dasselbe gilt für Sachschäden. Doch kann eine Haftung versicherter Personen in Betracht kommen, wenn das Unternehmen beispielsweise Umweltauflagen verletzt oder – am Beispiel Shell – versicherte Personen nicht ausreichend und schnell genug auf regulatorische Entwicklungen reagieren, um die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens zu sichern.

Vorstände und Geschäftsführer müssen informierte Entscheidungen für ihr Unternehmen treffen. Dazu kann auch die Abwägung gehören, wie Klimarisiken das Unternehmen, seine Tätigkeit und seine Produkte betreffen. Ist beispielsweise mit einer regulatorischen Änderung zu rechnen, die eine Investitionsentscheidung zugunsten eines Standortes oder eines Energieträgers kippen lässt? Oder, aktuell ebenfalls prominent diskutiert, die Lieferkette: Wie betreffen z.B. Flutrisiken meine Lieferanten oder die Verkehrswege und -träger? Vor allem, wenn doch die meisten Industriezentren, aber eben auch die Häfen und Umschlagzentren (Hubs) weltweit im Küstenbereich liegen.

Weltweit werden Klimarisiken zunehmend als systemische Risiken qualifiziert und Unternehmen verpflichtet, Finanzinformationen zu klimabezogenen Risiken zu veröffentlichen (bezogen auf das Unternehmen einerseits und die Produkte andererseits) [2]. Im Vereinigten Königreich gelten seit dem 1. Januar 2022 erste von der Finanzaufsicht FCA veröffentlichte Regeln und Hinweise zu klimarisikobezogenen Informationspflichten, ab 2025 sollen umfassende gesetzliche Regeln gelten [3].

[2] Neuseeland war im Oktober 2021 das erste Land, das für bestimmte Unternehmen – u.a. Versicherer und Banken – verpflichtende Informationen zu Klimarisiken einführte, die ab 2023 gelten, vgl. “Financial Sector (Climate-related Disclosures and Other Matters) Amendment Act 2021”, abrufbar hier.

[3] vgl. https://www.fca.org.uk/news/news-stories/new-rules-climate-related-disclosures-help-investors-clients-consumers.

Die Verletzung klimarisikobezogener Pflichten könnte – abhängig von den sich entwickelnden Rechtsordnungen – zu behördlichen Untersuchungen oder Sanktionen führen, aber eben auch zu einer zivilrechtlichen Haftung.

D&O-Bedingungen enthalten regelmäßig Umweltausschlüsse. Doch diese haben eher physische Beeinträchtigungen im Blick. Greift also ein Ausschluss wegen Schäden durch Umwelteinwirkungen und alle(r) sich daraus ergebenden weiteren Schäden“ für Vermögensschäden, die auf einer unzureichenden Information zu klimabezogenen Risiken beruht? Geht es um ein „Greenwashing“, wird es für den D&O-Versicherungsschutz in der Praxis regelmäßig um den Vorsatz- bzw. Wissentlichkeitsausschluss gehen. Sicher scheint, dass mit den sich entwickelnden Haftungsrisiken auch vorhandenen Ausschlüssen eine neue Bedeutung zukommen wird, oder aber die Versicherer der Entwicklung mit neuen Ausschlüssen begegnen.

Cyberversicherung und Cyberwar-Ausschlüsse: Welche Risiken bleiben versicherbar?

Mittlerweile ist hierzulande mancher aufgesprungen, die Diskussion um Kriegsausschlüsse in der Cyberversicherung hat Fahrt aufgenommen und der eine oder andere Makler ist engagiert zu erklären, dass die Deckung nicht gefährdet sei und die Beweislast für die Ausschlussvoraussetzungen ja beim Versicherer liege. Doch darum geht es nicht. Noch viel weniger geht es um Panikmache. Es geht darum, dass wir einen Trend sehen – und zwar einerseits bei der Bedrohungslage durch Cyberrisken selbst, andererseits aber auch bei der Versicherbarkeit der Risiken.

Die aktuellen Ereignisse im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine bringen nicht nur unendliches menschliches Leid. Sie führen auch zu der Frage, inwieweit Cyberattacken – beispielsweise auf kritische Infrastrukturen – Akteuren zuzuordnen sind, die möglicherweise in staatlichem Auftrag, staatlich geduldet oder finanziert oder aber schlichtweg politisch motiviert handeln. Mit Blick auf den Krieg in der Ukraine weisen Beobachter teilweise darauf hin, dass eine Diskrepanz zwischen erwarteten und tatsächlichen Cyberattacken bestehe. [4] Doch ebenso gehen Experten und auch Behörden nach wie vor von einer erhöhten Bedrohungslage aus. Für den hier diskutierten Trend beim Versicherungsschutz geht es um eine Entwicklung, die der Krieg in Europa möglicherweise vorantreibt, die aber so neu nicht ist.

[4] https://www.heise.de/news/Diskrepanz-zwischen-erwarteten-und-tatsaechlichen-Cyberattacken-im-Ukraine-Krieg-6540223.html.

Bekanntlich veröffentlichte die Lloyd's Market Association (LMA) am 25. November 2021 Muster-Ausschlussklauseln („Cyber War and Cyber Operation Exclusion Clauses“) [5]. Die LMA verhandelte seit 2019 über die Muster-Ausschlussklauseln. Natürlich ist immer, wenn es um einen möglichen Ausschluss unter Cyberversicherungsbedingungen geht, die zentrale Frage die Attribution des Angriffs. Genau dort setzt die Entwicklung auf der Deckungsseite an. Die vier Klauseln sind unterschiedlich weit gefasst. Grundsätzlich weit erfassen sie (im Mustertext definierte) „Cyber Operations“ – und nicht allein „war“. Zudem enthalten die Klauseln Regeln, auf welche Weise die Attribution einer „Cyber Operation“ zu einem Staat erfolgen kann.

[5] Abrufbar hier.

Entscheidend beim Blick auf den englischen Versicherungsmarkt ist, dass sich zukünftig auch hierzulande Versicherungsnehmer auf Diskussionen zu Ausschlüssen im Zusammenhang mit Cyberrisiken und „Cyberwar“ bzw. neue Ausschlüsse werden einstellen müssen. Es geht eben um systemische Risiken.

Krieg und Versicherungsschutz: wo greifen Kriegsausschlüsse?

Der Krieg in der Ukraine ist es auch, der zutage bringt, was glücklicherweise in vielen Versicherungsverträgen lange keine Relevanz hatte: „Klassische“ Kriegsausschlüsse in den Policen. Während den Luftfahrt-Versicherern der größte Verlust nach dem 11. September 2001 drohen könnte [6], sehen sich deutsche Versicherungsnehmer beispielsweise vermehrt Kündigungen des Kriegsrisikos durch ihre Transportversicherer ausgesetzt.

[6] Vgl. https://versicherungswirtschaft-heute.de/politik-und-regulierung/2022-03-14/luftfahrt-kriegsversicherern-droht-groesster-verlust-seit-11-september-2001/

Doch auch andere Branchen bzw. Sparten betrifft eine mögliche Diskussion um Kriegsausschlüsse. Die ohnehin pandemiebedingt gebeutelte Eventbranche ist der sechstgrößte Wirtschaftszweig der deutschen Volkswirtschaft. Und wo man nach Lockdowns und Ausfällen alles auf einen „Neustart“ gesetzt hat, trifft der Krieg in Europa auch diese Branche. Und damit auch die Veranstaltungsausfallversicherer. Nicht immer direkt. Doch wie steht es mit Nicht-Aufritten russischer Künstler oder Absagen von Veranstaltungen durch Behörden im Kontext mit dem Krieg? Auch hier werden sich die Versicherungsnehmer auf Diskussionen mit den Versicherern zur Reichweite von Kriegsausschlüssen einstellen müssen.

Neue Risikolandschaft: Welcher Weg führt hindurch?

Klimawandel, Flutschäden, Pandemie, fragile Lieferketten und (Cyber-)Kriege: Versicherungsnehmer werden in Zukunft vermehrt damit konfrontiert sein, dass sich Versicherer auf „alte“ Ausschlüsse in einer „neuen Risikolandschaft“ berufen. Das wird (Rechts-)Streitigkeiten zwischen den Marktteilnehmern über Inhalt und Reichweite des Versicherungsschutzes befeuern.

Versicherer werden ihre Kunden zudem neu konzipierte Ausschlüsse präsentieren. Manches systemische Risiko wird unversicherbar (werden). Erst kürzlich wurde Munich-Re Chef Joachim Wenning beispielsweise damit zitiert, „Großkonzernen“ keine Cyberversicherung mehr anbieten zu wollen [7].

[7] Dabei würden wir uns verheben, das können wir uns nicht leisten“, erklärte Joachim Wenning gegenüber Versicherungswirtschaft-heute, abrufbar hier.

Die Zukunftsfrage ist, wie die Absicherung von systemischen Risiken (noch) gelingen kann. Hier besteht kein Grund für Pessimismus. Manchmal kostet es schlichtweg Zeit, bis der Markt neue Lösungen entwickelt. So reagierten die Versicherer nach dem 11. September 2001 weltweit mit Ausschlüssen von Terrorgefahren, und erst allmählich entwickelten sich Lösungen zu deren Absicherung (z.B. Poollösungen). Die eine Seite ist die Vorsorge – seien es Flutschutzkonzepte, Cybersicherheit oder wirkliche Anstrengungen, dem Klimawandel zu begegnen. Die andere Seite ist die Absicherung verbleibender Risiken.

Der Kampf gegen systemische Risiken erfordert eine Kraftanstrengung aller: der bedrohten Unternehmen, des Staates und insbesondere auch der Versicherer – die auch in Zukunft ihre „klassische Rolle“ als Risikoträger ausfüllen müssen.

Ihr Ansprechpartner:

Christian Drave, LL.M.

Rechtsanwalt I Partner
Master of Insurance Law
Fachanwalt für Transport- und Speditionsrecht

 

T + 49 211 822 68 09-2
E christian.drave@norden-legal.de

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