Betriebsschließungsversicherung I Covid-19
Hintergrund © StockPhotoAstur - stock.adobe.com
Nachfolgend lesen Sie einen Auszug aus einem Beitrag für die Printausgabe der Versicherungswirtschaft, Ausgabe Januar 2022, Seiten 80 - 81.
„Wie viel Schaden hat die BSV angerichtet?“ fragt die Versicherungswirtschaft in ihrer gerade erschienen Januarausgabe 2022.
Zu Recht – zeigt ein Vergleich mit dem englischen Versicherungsmarkt: Schadenzahlungen von 916.662633,00 Pfund erhielten Versicherungsnehmer für Betriebsunterbrechungen im Zusammenhang mit Covid-19 bislang unter englischen BU-Versicherungsverträgen. Den Weg bahnte der Supreme Court im von der Aufsichtsbehörde FCA gegen Versicherer geführten Musterverfahren. Eine Folge: Umfragen zufolge wächst in Großbritannien nach dem FCA-Musterverfahren insbesondere im Mittelstand das Vertrauen der Versicherungsnehmer in die Versicherer.
Es fragt sich: Was funktioniert in UK, was hierzulande mit der Betriebsschließungsversicherung nicht klappt?
Eine Analyse.
BSV: Unklarheiten und Streitigkeiten
Nach zwei Jahren Covid-19 ist der Befund zum Umgang mit Betriebsschließungsversicherungen hierzulande ernüchternd: Tausende von Deckungsprozessen um ein regelmäßig unklar konzipiertes Versicherungsprodukt. Und das Warten auf den Bundesgerichtshof, der am 26. Januar 2021 erstmalig eine BSV-Angelegenheit verhandelt, der Ausgang ungewiss.
Englischer Markt: Schäden von bislang £ 916.662633,00 reguliert
Noch sind zwar beileibe nicht alle eingetretenen Schäden reguliert. Doch die für den englischen Markt verantwortliche Finanz- und Versicherungsaufsicht (Financial Conduct Authority, FCA) führt Buch über den Stand der Schadenzahlungen der Versicherer im Zusammenhang mit Covid-19 - transparent nachvollziehbar. Corona-Schadenzahlungen danach Stand 6. Dezember 2021: £ 916,662,633 (im November 2021 waren es noch £ 871.573.228,00, hier können Sie den aktuellen Stand verfolgen).
Aktive Rolle der Versicherungsaufsicht und effektives Musterverfahren mit Klagerecht der Versicherungsaufsicht schafft Rechtssicherheit und Vertrauen
Die FCA nutzte als erster Akteur eine seit dem Jahr 2015 bestehende prozessuale Möglichkeit und führte als Partei ein Musterverfahren zur Klärung der Grundsatzfragen gegen die im englischen Markt engagierten Versicherer - im Interesse der Versicherungsnehmer. Sie trat als Klägerin auf für geschätzte 370.000 überwiegend industrielle und gewerbliche Versicherungsnehmer mit Policen bei ca. 60 Versicherern. Eine Rolle der Aufsicht, die hierzulande nicht jedem behagen wird, ginge die BaFin ähnlich vor.
Supreme Court gibt Klarheit über Versicherungsschutz und Auslegung der Versicherungsbedingungen
Das von Kontinentaleuropa aus manchmal gern kritisierte Inselsystem erzielte ein beachtliches Ergebnis. Nicht schlichtweg, weil die von der Pandemie betroffenen Unternehmen weit überwiegend gewannen und Versicherungsleistungen zugesprochen bekamen. Nein, vor allem gab es (1) relativ zügig (2) klare rechtliche Vorgaben des obersten Zivilgerichtes - mit anderen Worten: Rechtssicherheit.
Der Supreme Court urteilte, dass unter den meisten der 21 exemplarischen Bedingungswerke, die Gegenstand des Verfahrens waren, Versicherungsschutz dem Grunde nach besteht. Und das Gericht gab klare Segelanweisungen zur Auslegung und Anwendung der Versicherungsbedingungen.
Das Urteil des Supreme Court zum Versicherungsschutz dem Grunde nach vom 15. Januar 2021 im Volltext finden Sie hier. Am 14. Juli 2021 erging zudem eine Order des Supreme Court. Die Order konkretisiert die Vorgaben Entscheidungen des High Court für die jeweiligen Einzelfälle und muss neben dem Urteil zur Bewertung der Einzelfälle herangezogen werden. Die Order finden Sie hier.
Und die hiesige Landschaft: Geht das nicht besser?
Blickt man auf zwei Jahre Pandemie-Schäden und wenig rühmlicher Schadenregulierung in den BSV-Fällen hierzulande, fragt sich schon, ob das nicht besser geht. Gefordert ist hier die Assekuranz, aber auch Gesetzgebung, Rechtsprechung und Aufsicht. Immer wieder gab es Ansätze, beispielsweise die Rolle der Versicherungsaufsicht rechtlich zu stärken und personell sowie finanziell zu fördern. Doch welche Rolle die Aufsicht zukünftig einnehmen will, erscheint offen. Ebenso stellt sich diese Frage mit Blick auf einige Risikoträger. Vielleicht kommt ja ein Impuls für weitere Entwicklungen vom angloamerikanischen System und es gibt eines Tages eine Aufsichtsbehörde, die für die Versicherungsnehmer in einem wirksamen Musterverfahren klagt – mit klaren zivilrechtlichen und wirtschaftlichen Folgen für die Parteien des Versicherungsverhältnisses, und für einen ganzen Markt.
Andere Versicherungsbedingungen im FCA Test Case – klare Wertungen
Entscheidend ist, dass das Urteil des Supreme Court im FCA Test Case bestimmte Deckungserweiterungen zur Betriebsunterbrechungsversicherung (non-damage business interruption) betraf, also andere Versicherungsbedingungen, ein anderes „Produkt“ als die hiesige Betriebsschließungsversicherung. Doch der Supreme Court war in seinen Wertungen und Begründungen klar – und könnte vielleicht durchaus manchen Orientierungspunkt auch für Versicherer, Gerichte und Akteure im deutschen (BSV-)Markt bieten. Wir müssen aus der beratenden Praxis heraus sagen: Die (deutschen) Unternehmen, die – etwa im Rahmen internationaler Versicherungsprogramme – Versicherungsschutz unter englischen Bedingungen unterhalten, konnten weitgehend erfolgreich und zügig Versicherungsansprüche realisieren. Dafür bahnte auch die Entscheidung des Supreme Court im FCA Test Case den Weg. Und für eine Klarheit, auf die wir hierzulande noch warten.
Vertrauen in die Assekuranz?
Eine maßgebliche Folge der klareren Situation im englischen Markt: Branchenmedien berichten, dass Umfragen zufolge das Vertrauen in die Versicherer in Großbritannien nach dem FCA-Musterverfahren wächst, insbesondere im Mittelstand (vgl. Commercial Risk online). Insoweit ist die Pandemie nicht nur allgegenwärtige Bewährungsprobe, sondern auch eine Chance für die Versicherer, Vertrauen aufzubauen – vielleicht auch noch hierzulande.
Ihr Ansprechpartner:
Christian Drave, LL.M.
Rechtsanwalt I Partner
Master of Insurance Law
Fachanwalt für Transport- und Speditionsrecht
T + 49 211 822 68 09-2
E christian.drave@norden-legal.de