Sachversicherung I Elementarschäden
Hintergrundbild © vik_y - stock.adobe.com
Das Oberlandesgericht Frankfurt hat mit Urteil vom 13. Mai 2022 (Az.: 7 U 71/21) bestätigt, was manch ein Versicherer bei der Gestaltung seiner Versicherungsbedingungen und in der Schadensregulierung missachtet:
Wegen der einschneidenden Sanktionen, die an eine Obliegenheitsverletzung geknüpft sind, muss die vertraglich vereinbarte Obliegenheit des Versicherungsnehmers, also das ihm auferlegte Tun oder Unterlassen, klar und eindeutig erkennen lassen, was im Einzelnen von ihm verlangt wird. Andernfalls fehlt es an der wirksamen Vereinbarung der Obliegenheit.
Ausgangslage
In dem vom OLG Frankfurt verhandelten Fall begehrte der Kläger von seinem Gebäudeversicherer eine Entschädigung für einen Wasserschaden wegen Rückstaus. Ursache war der Ausfall der Rückstausicherung im Keller des Gebäudes, nämlich der Ausfall der Hebepumpe, die in einem Drainageschacht angebracht war und das Wasser nach außen in den Straßenkanal pumpen sollte. Der Kläger gab dabei an, die Maschine zweimal pro Jahr zu warten – konnte aber keine Details über die Art der Wartung zu machen.
Der Versicherer sah darin ein grob fahrlässiges Verhalten und reagierte mit einer Leistungskürzung in Höhe von 50 Prozent. Er berief sich auf eine Obliegenheit im Versicherungsvertrag, wonach der Versicherungsnehmer verpflichtet sei, „zur Vermeidung von Überschwemmungs- und Rückstauschäden bei rückstaugefährdeten Räumen Rückstausicherungen anzubringen und diese funktionsbereit zu halten.“
Im Fokus der Auseinandersetzung stand die Frage, ob und in welchem Umfang der Kläger die Einrichtungen zur Rückstausicherung warten musste bzw. tatsächlich gewartet hat.
Standpunkt des Gebäudeversicherers
Der Versicherer stellte sich auf den Standpunkt, die vorgenannten Rückstau-Klausel („Rückstausicherungen funktionsbereit zu halten“) begründe eine Obliegenheit zur Wartung- und Instandsetzung, die nach bestimmten Wartungsintervallen von einem qualifizierten Fachunternehmen nach DIN-Normen durchzuführen sei.
Nur, aus dem Wortlaut folgt keine ausdrückliche Wartungs- und Instandsetzungsobliegenheit. Von Wartungsintervallen ist nicht die Rede - geschweige denn von DIN-Normen oder dem Erfordernis, Arbeiten durch ein qualifiziertes Fachunternehmen durchführen zu lassen. In der ersten Instanz vor dem Landgericht Limburg hatte der Versicherer damit dennoch Erfolg.
Votum der Berufungsrichter
Die Frage, ob und in welchem Umfang die Rückstausicherungen vom Versicherungsnehmer regelmäßig zu warten waren bzw. tatsächlich gewartet wurden, ließ das Berufungsgericht in Frankfurt hingegen offen. Die Frankfurter Richter hielten nämlich die Obliegenheit, die Rückstausicherung "funktionsbereit" zu halten, für nicht hinreichend klar. Die Folge: Die Klausel ist unwirksam. Der Versicherer kann aus ihr keine Sanktionen herleiten.
Einen wichtigen Grundsatz konsequent angewendet
Das OLG Frankfurt hat - das passiert insbesondere vor erstinstanzliche Gerichten leider zu selten - einen wichtigen Grundsatz konsequent angewendet:
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs besteht das Wesen einer gefahrbezogenen Obliegenheit darin, dass sie dem Versicherungsnehmer nach Zustandekommen des Vertrages bestimmte Verhaltensweisen zur Erhaltung seines Versicherungsanspruchs vorschreibt, ihm also Handlungs- und Unterlassungspflichten auferlegt, die er beachten muss (vgl. BGH, Urteil vom 24.11.1971, IV ZR 135/69 - VersR 1972, 85; BGH, Urteil vom 30.4.2008, IV ZR 53/05 - VersR 2008, 961). Obliegenheiten dienen also der Verhaltenssteuerung. Sie müssen von vornherein bestehen und klar sein – eben damit dem Versicherungsnehmer vorausschauend (ex ante) klar ist, was zu tun ist. Ansonsten verfehlen sie ihren Zweck und sind schlichtweg untauglich und damit unwirksam.
Rückstau-Klausel unwirksam, da zu unbestimmt
An eben dieser klaren Handlungspflicht fehlt es hier. Instruktiv dazu die Frankfurter Richter:
„Für den durchschnittlichen um Verständnis bemühten Versicherungsnehmer ist bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs der Klausel lediglich erkennbar, dass ihm über den Einbau der Rückstausicherung hinausgehend eine Pflicht zur Aufrechterhaltung deren Funktionsbereitschaft auferlegt werden soll. Da die Rückstausicherung funktionsbereit zu halten ist, könnte dies nach dem Verständnis des durchschnittlichen Versicherungsnehmers zwar auch im Sinne einer Wartungs- und nicht nur einer bloßen Reparaturverpflichtung zu verstehen sein, da das (Vor-)halten in funktionstüchtigem Zustands gefordert wird. Letztlich bleibt dies jedoch offen. Weder eine Wartungs- noch eine Instandsetzungsobliegenheit werden explizit benannt. An bestimmte Wartungsintervalle oder - wie die Beklagte meint - gar an eine DIN-gerechte Wartung, knüpft die Klausel nicht an. Es bleibt vielmehr im Ungewissen, welche Verhaltensweisen dem Versicherungsnehmer zur Erhaltung des Versicherungsschutzes konkret abverlangt werden sollen. Die klare Vorgabe zumindest von Wartungsintervallen ist jedoch zur hinreichenden Konkretisierung der sanktionsbewehrten Wartungsobliegenheit auch deshalb erforderlich, da anderenfalls im Einzelfall offen bleibt, woran der vom Versicherungsnehmer zu führende Kausalitätsgegenbeweis anzuknüpfen hat. Dem Versicherer ist die klare Formulierung einer Instandsetzungs- und Wartungsobliegenheit auch unschwer möglich.“
Konturlose Obliegenheiten häufig streitentscheidend
Bei Sachschäden steht regelmäßig die Frage im Vordergrund, ob der Versicherungsnehmer Obliegenheiten eingehalten oder aber verletzt hat und welche Sanktionen der Versicherer aus einem Verstoß herleiten kann. Dabei gerät zu häufig aus dem Blick, ob eine Obliegenheit wirksam vereinbart oder mangels Bestimmtheit unwirksam ist. Konturlose Obliegenheiten - wie die vorgenannte Rückstau-Klausel - sind häufig streitentscheidend. Sie finden sich zahlreich in Sachversicherungsverträgen. Eine für Versicherungsnehmer besonders gefährliches Beispiel ist die weit verbreitete „Generalklausel“. Sie lautet: „Der Versicherungsnehmer hat alle gesetzlichen, behördlichen oder in dem Versicherungsvertrag vereinbarten Sicherheitsvorschriften zu beachten“. Sie dient Versicherern regelmäßig als Einfallstor für Leistungskürzungen. Sie soll den Versicherungsnehmer dazu anhalten, sich in einer bestimmten Weise zu verhalten, um die Entstehung eines Sachschadens zu vermeiden. Verletzt der Versicherungsnehmer diese Obliegenheit, drohen versicherungsrechtliche Sanktionen bis hin zur vollständigen Leistungsfreiheit des Versicherers. Doch was genau zu tun oder zu unterlassen ist, sagt die Klausel nicht. Der Versicherungsnehmer kann nicht wissen, was mit „Sicherheitsvorschriften“ im Sinn der Klausel gemeint ist und wie er das herausfinden soll. Sind „Vorschriften“ nur materiellrechtlich bindende Normen und Rechtsakte? Oder sind auch Industrienormen oder -standards (ISO, DIN etc.) „Vorschriften“? Obwohl es den Versicherern möglich wäre, nimmt der Versicherungsvertrag in der Regel keinen Bezug auf einzuhaltende gesetzliche oder behördliche Vorschriften. Ein gewissenhafter Versicherungsnehmer kann letztlich nie sicher sein, ob er seinen vertraglichen Verpflichtungen nachkommt oder dahinter zurückbleibt.
Das OLG Frankfurt hat zwar nur einen Einzelfall entschieden, jedoch an einen wichtigen Grundsatz erinnert: Bevor das Verhalten des Versicherungsnehmers kritisch unter die Lupe genommen wird, muss zunächst die Obliegenheitsklausel auf den Prüfstand. Häufig ist diese unbestimmt und wirksam. Der Versicherer kann dann keine Sanktionen aussprechen.
Das OLG Frankfurt hat die Revision nicht zugelassen. Eine Nichtzulassungsbeschwerde zum BGH ist möglich.
Das Urteil lesen Sie hier.
Ihr Ansprechpartner:
Cäsar Czeremuga, LL.M.
Rechtsanwalt I Partner
Master of Insurance Law
T + 49 211 822 68 09-1
E caesar.czeremuga@norden-legal.de